Von Prof. Dr. Katrin Winkler
In vielen Unternehmen gehört das Duzen am Arbeitsplatz mittlerweile zum Alltag. Bemerkenswert ist, dass diese Praxis nun auch hierarchieübergreifend immer häufiger Anwendung findet. Doch führt das zwangsläufig zu einer weniger hierarchischen Arbeitswelt? Und wenn ja, warum?
Auch in Zukunft wird es in Unternehmen nicht ohne Hierarchien oder besser gesagt klare Verantwortlichkeiten funktionieren. Eine strukturierte Herangehensweise ist entscheidend für das Erzielen von Ergebnissen. Trotzdem kann eine hierarchieübergreifende Duz-Kultur positive Auswirkungen haben, indem sie das Miteinander fördert und die Identifikation mit dem Unternehmen stärkt. In bestimmten Branchen, wie der Technologie- und Kreativbranche, ist eine informelle Ansprache traditionell verbreitet und spiegelt eine Kultur der Gleichheit und Offenheit wider. Unternehmen in diesen Bereichen neigen dazu, flachere Hierarchien zu unterstützen, die den Austausch von Ideen und Feedback über traditionelle Hierarchiegrenzen hinweg erleichtern.
Ein besonders wichtiger Aspekt für mich ist die Verschiebung hin zu einer transformationalen und partizipativen Führungsweise, die großen Wert auf Transparenz sowie auf das Engagement und die Motivation der Mitarbeiter legt. Führungskräfte, die eine persönlichere Beziehung zu ihren Teams pflegen, können durch das Duzen Barrieren abbauen und so die Zusammenarbeit stärken.
Studien unterstützen diese Beobachtungen. Laut einer Umfrage von LinkedIn Deutschland unter 1.000 Arbeitnehmern, gaben 60 % der Befragten an, dass das Duzen am Arbeitsplatz zu einer besseren Arbeitsatmosphäre beiträgt. Eine andere Studie der Universität Mannheim fand heraus, dass Mitarbeiter in Unternehmen mit einer Duz-Kultur eine höhere Identifikation mit ihrem Arbeitgeber aufweisen und häufiger bereit sind, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.
Vor etwa zehn Jahren entschied ich mich für einen progressiven Umgang mit einer Praxis, die ich an der Hochschule vorfand und schwer ertragen konnte: Professoren duzten sich untereinander, während mit Mitarbeitern das förmliche „Sie“ verwendet wurde. Diese starre Trennung stand im starken Kontrast zu der modernen Unternehmenskultur, aus der ich kam. Um auf Augenhöhe mit allen Mitarbeitern zu arbeiten, durchbrach ich diesen überholten „Kodex“ bewusst und setzte auf das „Du“. Heute hat sich die Kultur an der Hochschule merklich gewandelt – zwar nicht überall, aber die Veränderungen sind spürbar positiv. Ich habe durch diese Herangehensweise noch nie negative Erfahrungen gemacht. Vielmehr habe ich festgestellt, dass das „Du“ hilft, die Distanz zu verringern, die sonst durch Titel entsteht.
Natürlich ist das richtig. Der Wechsel vom „Sie“ zum „Du“ kann einerseits Vertrauen fördern, andererseits aber auch Ausgrenzung bewirken, insbesondere wenn ich mit einem Teil des Teams per Du und mit dem anderen per Sie bin.
Grundsätzlich sehe ich kein Umfeld, in dem das Duzen unangebracht wäre. Allerdings gibt es durchaus Situationen, in denen es sinnvoll sein kann, zum formellen „Sie“ zurückzukehren – etwa wenn das Vertrauen vollständig zerstört wurde. Ein persönliches Beispiel hierfür ist ein Kollege an der Hochschule, der mich wiederholt hintergangen und versucht hat, mich persönlich anzugreifen. In diesem Fall habe ich entschieden, zum „Sie“ zurückzukehren, um eine klare Grenze zu ziehen. Solche Fälle sind jedoch extreme Ausnahmen, die sich aus besonders tiefgreifenden menschlichen Konflikten ergeben.
Welche Erfahrungen habt ihr persönlich mit der #gerneperDu-Kultur gemacht?
Prof. Dr. Katrin Winkler